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Mitteldeutscher Rundfunk

Staatsvertrag blockiert betriebliche Mitbestimmung

04.02.2021

Die Thüringer Staatskanzlei: Federführend bei den Verhandlungen um den MDR Staatsvertrag. (Bild von wondr auf Pixabay)

Seit Jahren verhandeln Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt über die dringend notwendige Reform des MDR Staatsvertrags. Diese Verhandlungen sind nun zu einem Ende gekommen, alle drei Ministerpräsidenten haben das Vertragswerk unterschrieben. Ein Grund zum Feiern ist das alllerdings nicht, im Gegenteil.

Aber der Reihe nach: Der DJV ist als Journalisten-Gewerkschaft und -Berufsverband im November 2020 von der Thüringer Staatskanzlei um eine Stellungnahme zu dem Staatsvertragsentwurf gebeten worden. Diese haben wir wunschgemäß am 10. Dezember 2020 abgegeben. Zu unserem großen Erstaunen mussten wir dann Aber Anfang Februar 2021 feststellen, dass der Entwurf des Staatsvertrages anschließend noch einmal geändert wurde. Und diese Änderung fällt deutlich zu Ungunsten derer aus, die tagtäglich den Qualitätsjournalismus produzieren, für den der Mitteldeutsche Rundfunk zu Recht geschätzt wird.

Konkret geht es um den §35 des Staatsvertrages, der die Personalvertretung regelt. In der Fassung, die dem Deutschen Journalisten-Verband zur Stellungnahme vorgelegt worden war, hieß es in Absatz 1:

„(1) Für den MDR sind das Bundespersonalvertretungsgesetz und die dazu ergangenen Rechtsverordnungen in ihrer jeweils aktuellen Fassung nach Maßgabe der für die Rundfunkanstalt des Bundesrechts geltenden Vorschriften entsprechend anwendbar.“

Dies hätte nach der derzeit im Bundestag beratenen Novelle des Bundespersonalvertretungsgesetzes bedeutet, dass künftig auch die arbeitnehmerähnlichen Freien nach §12a TVG von den gewählten Personalräten vertreten werden können. Denn dort wird in §116 Abs. 4 S. 2 BPersVG‐E der Beschäftigtenbegriff ausdrücklich um den Kreis der arbeitnehmerähnlichen Freien erweitert. Eine lange überfällige Regelung, für die das CDU-geführte BKM gesorgt hat.

In der den Landesparlamenten in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt zugeleiteten Version soll aber ausgerechnet diese Regelung nicht gelten. Denn der §35 Abs. 1 wurde um einen Halbsatz ergänzt, in dem es heißt:

„(1) Für den MDR sind das Bundespersonalvertretungsgesetz und die dazu ergangenen Rechtsverordnungen […] entsprechend anwendbar, soweit sich aus Absatz 3 nichts anderes ergibt.“

Absatz 3 des §35 im MDR-Staatsvertrag wiederum regelt, dass für alle

„[…] arbeitnehmerähnlichen Personen im Sinne von §12a des Tarifvertragsgesetzes eine institutionalisierte Vertretung ihrer Interessen (Freienvertretung)“

geschaffen wird.

Darin ist der Versuch zu sehen, die betriebliche Mitbestimmung für einen Großteil der MitarbeiterInnen des MDR schlichtweg zu verhindern!

Eine Freienvertretung hat keine gesetzliche Grundlage, auf der sie mitbestimmen oder bspw. Dienstvereinbarungen abschließen könnte. Ihre Gestaltungsmöglichkeit beschränkt sich auf bloße Anhörungsrechte, die zudem von der ArbeitgeberInnnen-Seite (Intendantin/Intendant + Verwaltungsrat) gestaltet und jederzeit widerrufen werden können. Die Freienvertretung hat keinen Zugang zu den Gerichten, ihre MitarbeiterInnen sind nicht rechtlich vor Diskriminierung geschützt, sie werden nicht von der Arbeit freigestellt. Eine solche Vertretung hat vor allem die Funktion, nach außen den Anschein zu erwecken, dass die Freien beim MDR rechtswirksam vertreten werden. Faktisch kann das aufgrund der dürftigen Rechtsgrundlage aber gar nicht der Fall sein.

Das bedeutet, dass im MDR zukünftig fast 45 % der MitarbeiterInnen ohne gesetzlich legitimierte Vertretung arbeiten werden. Im Mitteldeutschen Rundfunk arbeiten rund 2.000 Angestellte und 1.600 arbeitnehmerähnliche Freie i. S. v. §12a TVG (dazu kommen noch viele andere Freie, die nicht arbeitnehmerähnlich sind). Allein diese Dimension macht deutlich, wie relevant eine wirksame Personalvertretung für alle Beschäftigten ist. Für die kommenden Jahre ist aufgrund der notwendigen Sparanstrengungen und Vorgaben der KEF davon auszugehen, dass die Gruppe der arbeitnehmerähnlichen Freien im MDR noch weiter zu- und die der Angestellten weiter abnimmt.

Arbeitnehmerähnliche Freie sind genau wie ihre angestellten KollegInnen wirtschaftlich abhängig und sozial schutzbedürftig. In der Regel sind sie in Dienstpläne eingeteilt, haben feste Arbeitsplätze, müssen ihren Urlaub abstimmen, arbeiten auf Lohnsteuerkarte, zahlen Sozialversicherungsbeiträge und treten auch nach außen als MitarbeiterInnen des MDR auf. Arbeitnehmerähnliche Freie sind als ModeratorInnen, RedakteurInnen und AutorInnen beschäftigt, ebenso wie in technischen sowie Verwaltungsberufen. Es lässt sich daher nicht rechtfertigen, warum der Personalrat die arbeitnehmerähnlichen Freien nicht vertreten darf und sie nicht im Personalrat vertreten sein dürfen.

Aus dieser Entwicklung entsteht ein nicht mehr zu übersehendes Legitimationsproblem des Personalrates, welches der Gesetzgeber hier noch zementieren will. Auch die obersten Gerichte haben mittlerweile festgestellt, „dass eine gemeinsame Vertretungsbefugnis, die sich nur auf die Festangestellten erstrecken würde, zu einem nicht zu übersehenden legitimatorischen Missverhältnis führen würde“ (OVG Bremen, ZUM‐RD 2016, 752 (755) [bestätigt durch BVerwG und BVerfG]).

Nicht zuletzt deshalb werden in zahlreichen Bundesländern arbeitnehmerähnliche Freie in den Landespersonalvertretungsgesetzen oder Medienstaatsverträgen schon lange unter den Beschäftigtenbegriff gefasst. Damit hat diese Gruppe bereits jetzt in vielen Anstalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ZDF, WDR, SWR, HR, SR, Radio Bremen) die gleichen betrieblichen Mitbestimmungsrechte wie die Gruppe der Festangestellten: Sie dürfen den Personalrat wählen und sich in diesen wählen lassen. Vor allem aber darf der Personalrat diese Gruppe vertreten.

In Niedersachsen haben erst kürzlich die Fraktionen von SPD und CDU in einem gemeinsamen und vom Landtag gebilligten Entschließungsantrag die Landesregierung gebeten, entsprechende Änderungen auszuarbeiten. Dies wird derzeit umgesetzt, so dass die Personalräte im NDR künftig auch arbeitnehmerähnliche freie MitarbeiterInnen vertreten dürfen.

Es ist schlichtweg nicht erklärbar, warum der MDR nun auch in Bezug auf die betriebliche Mitbestimmung im Vergleich zu anderen Anstalten ins Hintertreffen geraten soll. Neben den noch immer teils deutlich niedrigeren Honoraren im Vergleich zu den Anstalten in den Nachbarländern wird damit ein weiterer Standortnachteil in den Ost-Bundesländern zementiert. Gleichzeitig wird die Entstehung einer „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ – wie es sie jetzt teilweise zwischen „Festen“ und „Freien“ gibt – auch auf dem Gebiet der betrieblichen Mitbestimmungsrechte forciert.

Der Deutsche Journalisten-Verband spricht sich vehement für eine eindeutige Regelung in der Neufassung des MDR-Staatsvertrages aus, die den arbeitnehmerähnlichen Freien dieselben betrieblichen Mitbestimmungsrechte einräumt wie ihren festangestellten KollegInnen. Dass diese Mitbestimmungsrechte hier per Staatsvertrag schlichtweg blockiert werden sollen, ist durch nichts zu rechtfertigen.

Ein zumindest äußerst erstaunlicher Vorgang ist es zudem, wenn eine fachspezifische Stellungnahme zu einem Gesetzentwurf angefragt wird und in diesem Entwurf anschließend das Gegenteil von dem umgesetzt wird, was in der Stellungnahme empfohlen wurde.

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