News

Wirre IHK in der Pandemie

Übernehmt endlich Verantwortung!

01.04.2021

Foto: Alexander Welitschko

Mariana Friedrich, Vorstandsmitglied im DJV Thüringen, über einen befremdlichen Aufruf der IHK Südthüringen:

“Diese Odyssee muss im 12. Monat der Corona-Krise enden!”, forderte dieser Tage die IHK Südthüringen ihre Mitglieder auf, sich am Protest gegen eine Fortsetzung des Lockdowns zu beteiligen. “Erhöhen Sie den institutionellen Druck der IHK durch Ihr eigenes Mitwirken. Drängen Sie durch anschauliche Schilderungen Ihrer persönlichen Situation auf den überfälligen Kurswechsel.” Welchen Kurswechsel wollen die UnternehmerInnen und Unternehmer denn? Radikale Öffnungen, damit noch mehr Menschen – MitarbeiterInnen, KundInnen, Angehörige – gefährdet werden? 

“Ich frage mich schon, was eigentlich los ist in der öffentlichen Präsentation”, sagte Virologe Christian Drosten Anfang der Woche im Podcast “Das Coronavirus-Update” des NDR. Dem kann ich nur kopfschüttelnd zustimmen. Denn in der öffentlichen Diskussion um die Pandemie und das, was wir dagegen tun können, läuft sehr viel schief. 

Eigentlich könnte man davon ausgehen, dass die Fakten unverrückbar auf dem Tisch liegen: Greiz hat die Inzidenz von 600 erreicht. Thüringen als Bundesland hat zudem  deutschlandweit die höchste Inzidenz. In den Top10 der Thüringer Hotspots auch Kreise aus Südthüringen wie Schmalkalden-Meiningen oder Hildburghausen. Hinter diesen Zahlen stehen Menschen, die infiziert sind und andere infizieren, Menschen, die erkrankt sind und sterben könnten, Menschen, die schwere Krankheitsverläufe durchmachen mit ungewissen Genesungschancen. Auf diesen Fakten sollte der Druck der Wirtschaft fußen. Denn die Pandemie schadet nicht nur unwiederbringlich die Betroffenen. Sie macht auch aus vielen Erkrankten fehlende Arbeitskräfte. Diese Folgen aber spielen für die IHK Südthüringen anscheinend keine Rollen. Kurzfristige Gewinne scheinen wichtiger als langfristige Perspektiven für ArbeitnehmerInnen.

Fakt ist auch: Einen wirklichen Lockdown, also eine Ausgangssperre und komplett geschlossene Betriebe, hatten wir nie. Schauen wir mal nach Portugal, die ihren Inzidenzwert von über 10.000 auf unter 1000 senken konnten – mit einem harten Lockdown. Bei uns war es Menschen immer möglich, sich mit anderen zu treffen. Immer waren die Geschäfte für den täglichen Bedarf geöffnet. Vor allem im sozialen Bereich, im Einzelhandel und Gesundheitswesen haben Beschäftigte ihre Gesundheit riskiert, damit die Versorgung aufrechterhalten bleibt.

Von der Hand zu weisen ist allerdings ebenfalls nicht: Das Management der Pandemie wirkt derzeit kopflos und unstrukturiert. Eine klare, langfristige Strategie auf wissenschaftlicher Basis, die gut erklärt und begründet wird, würde vieles einfacher und nachvollziehbarer machen. Auch langfristige Strategien kann man übrigens flexibel anpassen, wenn sie gut angelegt sind, wie in jedem Grundkurs Projektmanagement gelehrt wird. 

Und ein letzter Fakt: Je länger wir halbherzig auf das Virus reagieren, umso wahrscheinlicher ist es, dass wir mit jeder Mutation weniger in der Lage sind, Menschen effektiv zu schützen

Dass die politischen Entscheidungen, wer wo warum seine Pforten schließen muss, kaum nachvollziehbar waren, darf, nein, muss kritisiert werden. Aber dabei dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, worum es hier geht: Menschenleben.

Und für wen spricht die IHK Südthüringen eigentlich, wenn sie fordert, gegen eine Fortsetzung des “Lockdowns” zu protestieren? Laut der aktuellen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen befürwortet der Großteil der Bevölkerung harte Maßnahmen. Eine Mehrheit für Lockerungen hat es dagegen nie gegeben! Trotzdem wird diese angebliche Mehrheit überall herbeigeschrieben.

Nicht nur bei der IHK. Auch manche Medien setzen auf PseudoexpertInnen und geben CoronaleugnerInnen eine Plattform, statt die Fakten zu berichten, einzuordnen, zu erklären. Dazu passt auch, dass im “Expertenrat Corona” der Landesregierung NRW exakt ein Naturwissenschaftler sitzt – der Virologe Prof. Dr. Hendrick Streeck. 

“Wir haben Zeit verschwendet”, sagt Christian Drosten. Und wir sind dabei, weitere Zeit zu verschwenden, wenn wir die Strategie “Kopf durch die Wand” fordern. Die Argumentation “Wir haben keine Lust meh” ignoriert jegliche Konsequenzen.

Selbstverständlich ist die Situation der kleinen und mittelständischenen Unternehmen, der FreiberuflerInnen und Selbstständigen, die wochen-, mancherorts monatelang ihre Geschäfte herunterfahren mussten, gravierend. Und kaum jemandem ist nachvollziehbar zu erklären, warum Hilfen für Großunternehmen wie die Lufthansa innerhalb weniger Tage zugesichert und ausgezahlt werden können, aber seit mehreren Monaten auf die versprochenen Hilfen warten müssen. So werden Existenzen vernichtet und die daraus entstehende Wut ist alles andere als nicht nachvollziehbar. Überbrückungshilfen müssen entbürokratisiert werden und auf die praxisnah zugeschnitten werden, die sie wirklich brauchen.

Die Lösung kann nicht sein, Menschenleben zu gefährden! Wir öffnen die Schulen ohne klare Teststrategie. Wir schicken die Menschen in die Betriebe, ohne die Unternehmen zu verpflichten, für Tests und Schutzmaßnahmen zu sorgen. Was die Selbstverpflichtung bisher gebracht hat, sehen wir ja. Und ja, viele viele UnternehmerInnen haben sich bemüht. Aber ohne die politische Weichenstellung bleibt es eben bei Bemühungen.

Warum fordern große Lobbyverbände wie die IHK, warum fordern die deutschen Medien nicht mit der lauten Stimme, die sie zweifellos haben, die sofortige Auszahlung der Coronahilfen, um den Menschen durch die dritte Welle zu helfen? Warum machen sie sich nicht stark, dass eingehalten wird, was versprochen wurde? Warum hilft nicht jeder mit, die Schulen und die Eltern zu stärken, damit unsere Kinder wirksam zu Hause unterrichtet und betreut werden können? Warum rufen sie ihre Mitgliedsunternehmen nicht dazu auf, die Mitarbeiter*innen, sofern es irgend möglich ist, ins Homeoffice zu schicken? Warum wiederholen sie nicht jeden Tag aufs Neue die Fakten und fordern, die Bevölkerung kontinuierlich zu impfen, zu testen, zu schützen? 

Stattdessen werden Hass und Misstrauen befeuert, Ängste und Unsicherheiten werden herbeigeredet. Das ist unverantwortlich! 

Es wird Zeit, dass sich alle ihrer Verantwortung stellen – und das nicht nur in der Politik!


 

Newsletter

Cookie Einstellungen